Über meine Beziehung zum Lesen und Schreiben
Wer schreibt, der bleibt. So die romantische Vorstellung. Was mir allerdings in den letzten Wochen bewusst geworden ist: Schreiben ist für mich persönlich vielmehr ein reflexiver Prozess.
Eine Art Status Quo, dessen was meinen Geist beschäftigt, ein Potpourri aktueller Ereignisse und Erlebnisse, Gedanken und Träume, Zweifeln und Hoffnungen. Da mir dieses Tun schon zu Schulzeiten Freude bereitet hat, möchte ich die Kunst nun wieder aufgreifen. Bestenfalls lässt sich im Laufe der Blog-Beiträge auch eine Entwicklung ableiten, denn ich denke es ist wie mit allen Künsten – je mehr man diese ausführt, desto besser wird das Ergebnis. Zumindest steigt die Wahrscheinlichkeit eines Werks, das auch für andere interessant, schön, unterhaltsam; kurzum rezipierbar ist.
Doch woher kommt meine Liebe zum geschriebenen Wort?
Zu verdanken habe ich diese wohl chronologisch vordergründig meinen Eltern. Meine Schwester und ich konnten ziemlich fordernd sein, denn wir verlangten jeden Abend nach einer neuen Geschichte, oder wollten etwas aus einem Buch vorgelesen bekommen. Unsere Eltern waren hierbei kreativ und haben sich oftmals eigene Geschichten ausgedacht, oder aus ihrer Kindheit erzählt. Später, als ich mich durch die Bücherregale der Jugendabteilungen fraß, wie die Raupe Nimmersatt, fuhr meine Mutter mit uns zu allen Bibliotheken der Stadt. Egal ob ich mich gedanklich mit Momo den grauen Männern stellte und die Zeit zurückeroberte, mit Anne und Philipp vom magischen Baumhaus die Spuren des Schneeleoparden verfolgte, oder mit den Brüdern Löwenherz dem Tod in die Augen blickte, jedes Buch ließ mich in eine neue Welt eintauchen und Abenteuer erleben. Ich katapultierte mich in andere Leben. Mal entspannt, mal mit schwitzigen Fingern und weit aufgerissenen Augen, mein Herz dabei immer von Tinte durchpumpt. Nach dem Lesen von Ronja Räubertochter ging ich besonders gerne in den Wald und schwing mich in der Sommerferienfreizeit an Lianen entlang, oder spielte Räuber an Fasching. Die wilden Kerle inspirierten mich mitunter jahrelang dazu, im Verein Fußball zu spielen und unermüdlich im Garten meiner Großeltern Tricks zu üben (natürlich aus dem Wilde Kerle Übungsbuch und mit orangenen T–Shirt). Charaktere, wie der kleine Prinz oder der Regenbogenfisch, haben meine Sicht auf die Welt mitgeprägt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, „Teilen macht Freude“ usw. Bis heute habe ich ein sehr gutes Bauchgefühl, das mir vielfach als Kompass diente, vielleicht auch, weil ich gefühlt viele Geschichten durchlebt habe. Interessanterweise habe ich früher nicht wirklich Filme geguckt, die Welten konnten sich alle erst in meinem Kopf bilden.
Meine Beziehung zum Lesen und Schreiben über die Jahre
Seitdem Schule, Studium und Arbeitsleben einen Großteil meines Alltags einnehmen, verläuft die Beziehung zum Lesen und Schreiben in Wellen. So war ich zwar zum Beispiel zu Schulzeiten meist gut im Schreiben von Aufsätzen, Gedichten, oder Essays. Allerdings musste ich zu meinem Glück gezwungen werden. Der feste zeitliche Rahmen einer Prüfung, die Ruhe und Konzentration, das leere Blatt Papier, dies alles hat mich in einen Zustand des Flows gebracht. Ohne dass ich das damals so betitelt hätte. Dafür musste ich erst Jahre später das empfehlenswerte Werk von Mihály Csíkszentmihályi lesen. Während des Studiums gingen mir Schreibaufgaben immer leicht von der Hand. Bachelor– und Masterarbeit hatte ich innerhalb kürzester Zeit mithilfe von Tools wie Citavi geschrieben, ich bin gerne in die Bibliothek gegangen und habe wenn aufgrund meines eigenen Perfektionismus länger Zeit benötigt. In Praktika und im Arbeitsleben habe ich dann nur noch vereinzelt geschrieben, wenn es ein Post für Social Media bedingt hat, oder ich die Muße hatte, ein visuelles Projekt für Social Media in Worte zu packen.
In der Kürze liegt die Würze…
Was mich allerdings im Nachhinein stört, ist die Kürze. Alles muss schnell lesbar und snackable sein. Dies ist an sich auch ein wichtiges Skill, nicht umsonst lernen angehende JournalistInnen, wie man sogenannte Rampen schreibt. Das Ziel dabei ist es, die W-Fragen zu beantworten und den Leser / die Leserin neugierig auf den Artikel (hinter der PayWall) zu machen. Heute schreibe ich immer noch kurze Texte für Instagram Storys oder Beiträge, kommentiere mitunter nur mit Emojis. Dennoch ertappe ich mich selbst dabei, wie ich bei längeren Beiträgen von Freunden, Kolleginnen und auch Unbekannten hängen bleibe. Einfach weil ich nach Worten, Tiefgang und Hintergrundinformation durste. Mein Lieblingspodcast ist nicht umsonst AllesGesagt von ZeitOnline. Eine Folge endet erst wenn der Gast / die Gästin meint, es sei alles gesagt und folglich das Schlusswort nennt. Heraus kommen nicht nur Zitate, Parolen, Polemik und Sprüche, sondern gedankliche Hergänge, Smalltalk, ja auch Schmatzen beim Essen, das man den Moderatoren und GästInnen während der bis zu 8 Stunden Aufnahme gönnt. “Information ist schnell, Wahrheit braucht Zeit“, damit bringt Peter Glaser es für mich auf den Punkt.
Tiefergehende Blogs, die ich vor kurzem gelesen habe, sind z. B. www.ws-productions.de von meinem Freund Lukas Kellner, oder https://www.meisterstunde.de/ vom Journalisten Peter Wagner.
Gedichte
Welche Kurzform des Schreibens ich allerdings mag und bewundere, sind Gedichte. Arne Rautenberg bezeichnet sie als „mentale Teilchenbeschleuniger“, die Gespräche „quer durch Raum und Zeit“ ermöglichen. In Urlauben bediene ich mich manchmal der japanischen Haikus, oder zumindest dem Grundgerüst, ohne mich zu sehr an dem exakten 5-7-5 Muster aufzuhängen. Das sieht dann zum Beispiel so aus.
Meeresrauschen und Wind
Die Wäsche
Trocknet geschwind
Salz im Haar
Chilli in der Suppe
Schmeckt gut
Stromausfall.
In der Wohnung des Nachbarn
spielt jemand Klavier.
(von Sigrid Baurmann (Haiku-Jahrbuch 2003))
Pinguine bleiben
Zusammen für immer
Wie wir
Der Mond
Bewegt das Meer
Zu Ebbe und Flut
Für mich persönlich sind das konservierte Zeitreisen, die mich auch Monate und Jahre später noch schnell in einen Moment und die zugehörigen Gedanken, Gefühle und Empfindungen zurückversetzen.
Abschluss
Was ich ansonsten merke: Schreiben hilft mir, Gelesenes zu verarbeiten. Und Lesen eröffnet mir neue Welten. Ein gutes Buch schafft neue Sichtweisen, macht neugierig, inspiriert oder regt an.
Es ist nicht so, dass ich immer viel geschrieben hätte. Im Gegenteil. Dennoch haben sich über die Jahre ein paar Notizen angesammelt. Das Schöne daran – ich glaube fest daran, dass diese teilweise den unterbewussten Grundstein für Entscheidungen in der Zukunft gelegt haben. Rückblickend habe ich in kritischen Momenten oftmals unterbewusst nach Kriterien und Werten entschieden, die ich in ruhigen Momenten wohl überlegt hatte. Ein bisschen so, wie wenn man Ziele setzt, das Leben einen Schlangenlinien oder ZickZack laufen lässt, man ein Plateau erklimmt, nur um beim nächsten wieder runterzufallen und von vorne anzufangen – aber am Ende die von vor zwei Jahren definierte Station erreicht. In diesem Sinne: Nehmt euch die Zeit, Gedanken aufzuschreiben. Euer Zukunfts-Ich dankt :) Der Satz vom Anfang ließe sich also passend(er) ergänzen: Wer schreibt, der bleibt besser auf Kurs. Oder auch: Ich schreibe, also bin ich Ich – und kann mich und meine Umwelt einfacher reflektieren. Zum Ende möchte ich dieses Zitat von Eberhard Schuy mit auf den Weg geben:
„Schreiben ist wie reden, nur bleibt dabei mehr Zeit zum Denken.“