Eine Liebeserklärung an Perfect Days von Wim Wenders (und das Glück des Alltags)
Eine Totale der Millionenmetropole Tokio. Morgendliche Skyline, mitsamt rötlich-orangenen Streifen am Horizont, ein Lichtermeer aus Häusersilhouetten. Titeleinblendung: Perfect Days. Aufsicht in den Himmel bei blauer Stunde, Baumkronen, die sich sanft im Wind wiegen. A Film by Wim Wenders. Starring Koji Yakusho. Wir bleiben in der morgendlichen Atmosphäre, hören zuerst und sehen dann einen Mann, der die Straße fegt. Aus einem Fenster rechts im Bild dringt lila Licht. Zufahrt auf einen schlafenden Mann. Die Kamera stoppt, er bewegt seinen Kopf. Tiefer Atemzug, der Mann wacht auf und guckt nach oben. Der Start eines neuen Tages.


Was dann folgt, sind 120 Minuten, in denen wir dem Alltag des Toilettenreinigers Hirayama in Tokio folgen.
Wim Wenders nimmt uns mit auf eine philosophische Reise übers Leben und vor allem die kleinen, leisen Momente. Kritiker bezeichnen den Film als langweilig oder in die Länge gezogen. Was Wenders Werk aber wunderbar schafft, ist das Zeigen scheinbar schmuckloser Alltagsmomente. Dazu gehören monotone Abläufe, wie das morgendliche Zähneputzen, oder Bartstutzen mit der Schere. Aber auch Tic-tac-toe Sudoku, das Hirayama mit einem unbekannten Toilettenbenutzer mittels eines Zettels hinter dem Spiegel spielt. Es werden Bäume umarmt und geklärt, ob ein Doppelschatten dunkler ist als ein einfacher. Der wortkarge Hirayama wirkt auf sein Umfeld dabei rätselhaft. Er hat häufig ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Liebt und wertschätzt analoge Dinge, wie Kassetten oder Bücher. Als ihn seine Nichte fragt, ob es einen Song auch auf Spotify gibt, sagt er nur, wo dieser Laden sei. Er ist für andere Menschen in seinem Leben auf eine vielleicht sonderbare Art in der Zeit stehen geblieben und doch den anderen voraus. Denn er ist zufrieden mit seinem Leben. Für ihn sind es perfect days.


Was ich und viele andere Menschen an dem Film so mögen, ist die unprätentiöse Erzählart, passend zur Hauptfigur. Es erinnert mich zudem an ein Essay von Peter Bachér „Glück – das ist Alltag“.
Viele brauchen leider erst einen Schicksalsschlag, ein Ereignis das einen sprichwörtlich aus der Bahn wirft, um dies zu erkennen. Ein guter Alltag ist Luxus. Morgens auf dem Weg zur Arbeit einem kleinen Marienkäfer Beachtung schenken, ein paar Sätze Plaudern mit dem netten Bäckereiverkäufer, allgemein gut geschlafen haben und frohen Mutes durch die Welt gehen. Der Geruch frisch gemahlener Kaffeebohnen, das wöchentliche Training und der Fortschritt dort, der Stammtisch mit den Jungs oder Mädels, … Es gibt viele wiederkehrende positive Konstanten in unserem Leben. Sich an diesen zu erfreuen und sie nicht für selbstverständlich zu nehmen, gehört mit zur größten Lebenskunst. Wer für diese Erkenntnis nicht erst eine Krankheit, oder einen schweren Verlust erleiden muss, wird glücklicher sein. Beim nächsten Jammern lohnt es sich, an Figuren, wie den Toiletten-Putzmann aus Perfect Days denken. Wenn etwas lästig ist, reicht ein Blick aus dem Fenster, um sich am Lichtspiel zu erfreuen, das Blätter, Sonne und Wind gemeinsam kreieren.
Beim nächsten Mal Bucketlist schreiben könnte man statt wilder Weltwunder Bereisungs-Odysseen (mit einer Masse weiterer Touristen im Gepäck) an der Qualität des Alltags arbeiten. Hierbei hilft es auch, sich selbst zu reflektieren. Der Unternehmer Robert Heineke teilt zum Beispiel auf LinkedIn, dass er für sich persönlich drei Faktoren herausgefunden hat, welche zum Glück seiner Tage beitragen: „Den Sonnenschein auf meiner Terrasse, das Gefühl der Freiheit auf meinem Motorrad oder die beruhigende Wirkung des Meeres“.
Diese Analyse bestärkte seine Entscheidung, im deutschen Winter nach Mallorca auszuwandern. Nun hat er für sich selbst einen abgerundeten, ausgeglichenen, glücklichen Alltag gefunden. Robert schreibt dabei noch resümierend: „Wir legen viel zu viel wert auf die 10% "besonderen" Momente im Leben. Ich bin der Meinung, dass es uns nachhaltig besser geht, wenn wir zunächst die 90% Alltag für uns optimieren.“
Meiner Meinung nach zeigen diese Geschichten, was wirklich wichtig ist im Leben. Es geht darum, auch die kleinen Momente genießen zu können, mit sich selbst und seinem Umfeld im Reinen zu sein – und darum, diese Erkenntnis in die Tat und das alltägliche Leben umzusetzen. Ich gehe erst einmal raus; spazieren in der Sonne und den Vögeln lauschen.